Als Norwegerin hätte nicht gedacht, dass ich im Land der Menschen- und Bürgerrechte nicht wählen darf

Hier ist die deutsche Version meines Artikels Norvégienne, je ne pensais pas ne pas pouvoir voter au pays des droits de l’Homme et du Citoyen , veröffentlicht am 26. April 2021 in der französischen Tageszeitung Huffington Post.

In meinem Artikel ziehe ich eine Verbindungslinie zwischen dem Kampf für das Frauenwahlrecht in Frankreich und dem Kampf für das Ausländerwahlrecht. Ich habe den Artikel geschrieben für den Jahrestag des Referendums zum Frauenwahlrecht, das am 26. April 1914 in Frankreich stattfand und für den neuen “Internationalen Tag des Wahlrechts für alle”, den das Netzwerk “Voting Rights for All Residents” (VRAR) für den 26. April ausgerufen hat.

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Als Norwegerin hätte nicht gedacht, dass ich im Land der Menschen- und Bürgerrechte nicht wählen darf

Es ist interessant zu sehen, dass ein Argument, das gegen das Frauenwahlrecht in Frankreich angeführt wurde, in der Diskussion gegen das Ausländerwahlrecht wieder auftaucht: die Furcht, dass dies die Republik gefährdet.

Heute, am 26. April 2021, möchte ich an das Referendum zum Frauenwahlrecht erinnern, dass am 26. April 1914 in Frankreich stattfand, indem ich eine Verbindungslinie ziehe zwischen dem Kampf für das Frauenwahlrecht und dem Kampf für das Ausländerwahlrecht. An diesem Tag wird das neu gegründete europäische Netzwerk Voting Rights for All Residents (VRAR)i den „Internationalen Tag des Wahrechts für alle“ begehen.

„An die Urnen, Bürgerinnen! Ja oder nein, meine Damen, wollen Sie wählen?“

Das ist der Anfang des Manifests des Redakteurs Gustave Téry, veröffentlicht in der Tageszeitung Le Journal am 9 März 1914, mit dem Ziel mit dieser Abstimmung zu dokumentieren, dass die französischen Frauen das Wahlrecht wollen.

In Zusammenarbeit mit Vereinigungen für das Frauenwahlrecht, wurde am am 26. April 1914 von Le Journal ein Referendum organisiert, am gleichen Tag an dem die französischen Männer zur Wahl gingen, um die Abgeordneten der Nationalversammlung zu wählen.

Das Resultat war ein großer Erfolg, 505.972 Frauen legten den Stimmzettel „Ich möchte wählen“ in die Wahlurne, und nur 114 eine ablehnende Stimme.

Frankreich war eines der letzten Länder in Europa, die das Frauenwahlrecht einführten“

Aber der Widerstand der Politiker gegen das Frauenwahlrecht war groß, besonders im Senat. Ihre Gründe reichten vom Argument, dass Frauen nicht für die Politik gemacht seien, bis zum Argument, dass man fürchtete, dass die Frauen unter dem Einfluss der katholischen Kirche wählen würden, und ihre Stimmabgabe daher für die Republik gefährlich sein könnte.

Erst 30 Jahre nach dem Referendum, und ein Jahrhundert nach der Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts im Jahre 1848, wurde den französischen Frauen am 21. April 1944 das Wahlrecht eingeräumt, durch eine Verordnung unterzeichnet von General de Gaulle. Frankreich war eines der letzten Länder in Europa, die das Frauenwahlrecht einführten.

Norwegen führte das aktive und passive Wahlrecht für Frauen im Jahre 1913 ein und war damit nach Finnland 1906 das zweite Land in Europa, in dem Frauen das allgemeine Wahlrecht bekamen.

In Deutschland haben Frauen das aktive und passive Wahlrecht seit 1918.

Als Frau fühle ich mich vom Kampf der Frauen für das Wahlrecht sehr berührt. Ich bin ihnen dankbar für ihren Mut und ihre Ausdauer, die wesentlich waren für die Einführung des Frauenwahlrechts in den Ländern der Welt.

Heute, als Norwegerin in Frankreich, ist es nicht mehr das Fehlen des Frauenwahlrechts, das mich daran hindert, an den Wahlen teilzunehmen, sondern das Fehlen des Wahlrechts für ausländische Bürger, die aus Ländern kommen, die nicht der Europäischen Union angehören.

An der Demokratie teilzunehmen, zur Wahl zu gehen, ist mir immer wichtig gewesen. In Norwegen ist das aktive und passive Wahlrecht für Ausländer bei den Kommunalwahlen (kommunestyrevalg) und Regionalwahlen (fylkestingsvalg) seit 1983 eine Selbstverständlichkeit. Ursprünglich aus Deutschland stammend, konnte ich 1983 und 1987 an den Lokalwahlen in Norwegen teilnehmen, bevor ich 1988 die norwegische Staatsbürgerschaft erworben habe.

Als ich mich im Jahre 2012 in Frankreich niedergelassen habe, ist es mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen, dass ich im Land der Menschen- und Bürgerrechte bei den Lokalwahlen kein Wahlrecht haben würde.

In Norwegen ist das aktive und passive Wahlrecht für Ausländer bei den Kommunal- und Regionalwahlen seit 1983 eine Selbstverständlichkeit.“

In meiner Kommune kann ich Mitglied der Vereine werden und an Veranstaltungen teilnehmen. Ich kann die Sitzungen des Gemeinderats verfolgen und mit beratender Stimme Mitglied eines Arbeitsausschusses des Gemeinderats werden, aber ich habe kein Wahlrecht. Ich trage zur Finanzierung des Haushalts meiner Stadt bei, aber ich habe keinen Einfluss auf die Verteilung und Verwendung der Steuern, weil ich kein Wahlrecht habe.

Warum erlaubt Frankreich Ausländern keine Möglichkeit, demokratischen Einfluss auf lokale Beschlüsse zu nehmen, die sie direkt betreffen? Warum hört die Integration bei der Beteiligung am demokratischen Prozess auf ?

Wie das Frauenwahlrecht, so hat auch das Ausländerwahlrecht eine lange Geschichte. Versprochen wurde es von Präsident François Mitterrand im Jahre 1981, dann wieder von Präsident François Hollande im Jahre 2012, aber eingeführt wurde es nie.

Es ist interessant zu sehen, dass ein Argument gegen das Frauenwahlrecht in der Diskussion um das Ausländerwahlrecht wieder auftaucht, und zwar die Furcht, dass die Stimmen der Ausländer die Republik gefährden.

Laut einer Aussage von Premierminister François Fillon in einer Debatte des Senats am 8. Dezember 2011 ist der Vorschlag, das Ausländerwahlrecht zu beschließen, „eine Untergrabung eines der Fundamente der Republik“.

Henri Guaino, Sonderberater von Präsident Sarkozy, äußerte sich am 24. November 2011 in der Sendung „Le rendez-vous RFI – France 24“ dahingehend, dass es „katastrophal“ sein würde, das Ausländerwahlrecht bei den lokalen Wahlen einzuführen. Er sehe nicht „wo der Unterschied zwischen lokalen und nationalen Wahlen sei“, und fügte hinzu, dass außerdem die lokalen Wahlen dazu dienen „die Senatoren zu wählen, die nationale Politik machen“.

Was Präsidentenberater Guaino vergessen hat zu sagen, ist, dass Paragraph 88-3 der französischen Verfassung am 28. Juli 1993 (in Bezug auf die Beteiligung von Ausländern aus der Europäischen Union) geändert wurde. „Das aktive und passive Wahlrecht bei den Kommunalwahlen kann nur Bürgern aus der Union eingewilligt werden, die in Frankreich wohnen. Diese Bürger dürfen weder die Funktion des Bürgermeisters noch des stellvertretenden Bürgermeisters ausüben, noch dürfen sie sich an der Ernennung der Abgeordneten für die Wahl der Senatoren und an der Wahl der Senatoren beteiligen.“

Ich trage zur Finanzierung des Haushalts meiner Stadt bei, aber ich habe keinen Einfluss auf die Verteilung und Verwendung der Steuern, weil ich kein Wahlrecht habe.“

Aus dieser Änderung der französischen Verfassung geht also unmissverständlich hervor, dass die ausländischen Abgeordneten in den Gemeinderäten keine nationale Funktion haben.

Warum dieser verbitterte Kampf der französischen Politiker gegen das Ausländerwahlrecht in Frankreich, wenn man in Norwegen die Möglichkeit, sich in der Demokratie zu engagieren, als ein wichtiges Mittel der Integration sieht?

Emmanuel Macron hat 2019 ebenfalls erklärt, dass er nicht für das Ausländerwahlrecht ist. Er zieht es vor, dass in Frankreich ansässige Ausländer die französische Staatsbürgerschaft beantragen.

Es scheint, dass der Präsident der französischen Republik uneinig mit der Bevölkerung ist, denn nach einer Meinungsumfrage von Harris interactive im Januar 2020, sind 62 % der Franzosen für eine Ausweitung des kommunalen und des europäischen Wahlrechts auf in Frankreich ansässige Ausländer aus Nicht-EU-Ländern.

Und ich, in Frankreich wohnende Ausländerin aus einem Land, das nicht zur Europäischen Union gehört, ich möchte wählen.

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i Wahlrecht für alle Bürger

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