In den letzten Wochen habe ich viel über Ostern als christliches Fest nachgedacht.
Im November 2024 tauchte auf der Webseite von katholisch.de ein Interview mit dem katholischen Fundamentaltheologen Magnus Striet auf1, anlässlich seines neuen Buches „Alte Formeln – lebendiger Glaube“.2

Ich habe sein Buch inzwischen gelesen. Darin gibt es vieles, über das ich auch schon nachgedacht habe.
Was mich besonders beeindruckt hat, ist, dass Striet den Glaubenssatz als nicht mehr tragbar ansieht, dass der Tod Jesu am Kreuz ein notwendiges Opfer war, um für die Sünden der Menschen zu sühnen und uns mit Gott zu versöhnen.
Das Buch ist eine Auslegung des Nicäno-Konstantinopolitanum, in der katholischen Kirche auch als das „Große Glaubensbekenntnis“ bezeichnet. Dort heißt es in Bezug auf den Kreuzestod Jesu:
„Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus, hat gelitten und ist begraben worden…“.
Magnus Striet schreibt dazu: „Das für uns dürfte zumeist die erinnerte, wirkmächtige Vorstellung vom stellvertrenden Sühnetod aufrufen. Abgesehen davon, dass dies die moralische Dignität Gottes vernichten würde, wenn er das sühnende Opfer für sich gebraucht haben sollte, würde dies voraussetzen, dass der gewaltsame Tod Jesu notwendig war.“3
Ich wundere mich, dass ein katholischer Fundamentaltheologe heute ohne kirchenrechtliche Konsequenzen so etwas schreiben, und dann im Interview mit katholisch.de sagen kann „Von der klassischen Soteriologie, also der Lehre, dass Gott stellvertretend für die Menschen ihre Sünden am Kreuz sühnen musste, verabschiede ich mich ganz entschieden.“4
Meine Kindheit als katholisches Mädchen und mein Leben als junge Erwachsene waren davon geprägt, dass ich unter Androhung von schweren Sündenstrafen alles glauben musste, was die Kirche als Wahrheit verkündete. Und nach der Lehre der Kirche hat diese Wahrheit der Kirche ihren Ursprung in Gott, und ist damit eine ewige Wahrheit.

Katholischer Katechismus, S.120 (zur Verdeutlichung jetzt hier rot unterstrichen)5

Katholischer Katechismus, S.121 (Mit Bleistift von mir als Kind angekreuzt, weil wir diese Sätze damals abschreiben und auswendig lernen mussten)
Da musste ich doch jetzt in Bezug auf das was Magnus Striet über den Tod Jesu am Kreuz sagt, gleich mal nachsehen, was dazu in meinem Katechismus steht.

Katholischer Katechismus, S.59
Wenn ich das heute lese, wird mir übel. Jesus starb also einen grausamen Tod am Kreuz, um sich „in vollkommener Liebe und reinster Hingabe“ seinem Vater als Opfer darzubringen? Was ist denn das für ein Vater, was ist denn das für ein Gott, der die Ermordung seines Sohnes als Sühne für die Sünden der Menschen braucht?
Dass die katholische Kirche lehrt, dass Jesus für uns und unsere Sünden geopfert werden musste, um uns zu erlösen, ist eigentlich sehr merkwürdig, da ja laut Bibel schon Abraham durch Gott daran gehindert wurde, seinen Sohn zu opfern (Gen 22, 1-13). Und dann soll Gott gewollt haben, dass Jesus für unsere Sünden durch den grausamen Tod am Kreuz für uns geopfert wird? Erst dadurch, dass Jesus den Opfertod starb, sollen unsere Sünden gesühnt und vergeben sein?
Gleichzeitig wird verkündet „Gott ist Liebe“. Passt das zusammen, ein liebender Gott, der als Voraussetzung, um den Menschen verzeihen zu können, den grausamen Opfertod seines Sohnes Jesus verlangt?
Ich habe diesen Katechismus im Alter von zehn Jahren bekommen. Was darin über den Glauben und die Kirche steht, hat mein Leben über viele Jahre geprägt. Nachzudenken und zu zweifeln an den Glaubenswahrheiten der Kirche war für mich Sünde, und ich hatte große Angst, dass Gott dann nichts mehr mit mir zu tun haben wollte.

Katholischer Katechismus, S.122/123
Als junge Erwachsene fing ich so langsam an, immer mehr über die Lehre und vor allem auch über die Methoden der Glaubensvermittlung der katholischen Kirche nachzudenken.
Es wurde ein langer und schwerer Prozess mit teilweise wahnsinniger Angst davor, von Gott verlassen zu werden. Bis ich dann soweit war, dass ich für mich klar unterscheiden konnte zwischen meinem Vertrauen in Gott und den Methoden, mit denen die katholische Kirche versucht, das Verhältnis der Menschen zu Gott zu bestimmen.
Im Juni 1984, im Alter von 32 Jahren, habe ich dann die Entscheidung getroffen, dass ich diese Kirche nicht mehr durch meine Mitgliedschaft unterstützen konnte und wollte, und bin aus der katholischen Kirche ausgetreten. Ein wesentliches Moment war dabei, dass ich erlebt habe, dass nicht nur ich, sondern auch andere Menschen in ständiger Angst davor lebten, aufgrund irgendwelcher Sünden von Gott verstoßen zu werden, mit der Konsequenz nach dem Tode in die Hölle zu kommen und ewig von Gott getrennt zu sein.
Gott war für mich seit meiner Kindheit das Zentrum meines Lebens, und so ist es auch immer noch. Nur lasse ich mir jetzt von niemanden mehr das Nachdenken verbieten. Ich bin davon überzeugt, dass ich meinen Verstand von Gott bekommen habe, um ihn zu gebrauchen.
Um auf Ostern zurückzukommen. Es passt nicht zu einem liebenden Gott, dass er die Ermordung seines Sohnes Jesus am Kreuz als Sühneopfer wollte, um sich mit uns Menschen zu versöhnen. Aber wie sooft, wenn etwas Schreckliches geschieht, wird Gott die Verantwortung dafür gegeben, statt einen Blick auf die menschliche Verantwortung zu werfen.
Bei allen vier Evangelisten wird berichtet, dass Pilatus Jesus für unschuldig hielt.6
Bei Matthäus wird außerdem noch berichtet, dass die Frau von Pilatus ihren Mann auffordert von Jesus zu lassen, da sie in einem Traum erfahren hat, dass Jesus unschuldig ist.
„Während Pilatus auf dem Richterstuhl saß, ließ ihm seine Frau sagen: Lass die Hände von diesem Mann, er ist unschuldig. Ich hatte seinetwegen heute Nacht einen schrecklichen Traum.“ (Mt 27,19)
Demnach wäre es also in der Verantwortung von Pilatus gewesen, Maßnahmen zu ergreifen, um Jesus freizulassen und seine Hinrichtung zu verhindern.
Weiter wird berichtet:
„Inzwischen überredeten die Hohenpriester und die Ältesten die Menge, die Freilassung des Barabbas zu fordern, Jesus aber hinrichten zu lassen.“ (Mt 27,20)
„Der Statthalter fragte sie: Wen von beiden soll ich freilassen? Sie riefen: Barabbas!“ (Mt 27,21)
Damit sind wir wieder bei der Verantwortung des Menschen, und zwar der Verantwortung jedes Einzelnen von uns, selbst nachzudenken und zu entscheiden, was richtig ist zu tun, und nicht einfach irgendwelchen Anführern und der Menge zu folgen. Das galt damals, und das gilt genauso heute.
Jesus hat uns eine Botschaft hinterlassen:
„Dies trage ich euch auf: Liebt einander!“ (Joh 15,17)
Die Liebe soll die Grundlage und das Wesentliche für all unsere Handlungen sein (1 Kor 13) und an den Geboten der Gottesliebe und der Selbst- und Nächstenliebe7 „hängt das ganze Gesetz samt den Propheten“. (Mt 22,40)
Bei den Geboten der Liebe ergibt sich nicht die Schwierigkeit wie bei vielen anderen Bibelstellen, dass man sie im damaligen geschichtlichen und kulturellen Zusammenhang und vom damaligen Stand der Wissenschaft aus beurteilen muss. Die Gebote der Liebe sind zeitlos, sie haben heute genauso ihre Gültigkeit, wie zu Lebzeiten Jesu.
An Ostern als religiösem Fest feiern Christen, dass Jesus Christus von den Toten auferweckt wurde. Das gibt Hoffnung für uns Menschen. Ich glaube an ein Leben nach dem irdischen Tod, und ich finde den Gedanken sehr tröstlich und schön, dass auch wir die Möglichkeit haben, nach unserem irdischen Tod bei Gott weiterzuleben
Beim Evangelisten Lukas wird berichtet, dass ein Gesetzeslehrer Jesus die Frage nach dem ewigen Leben stellte:
„Da stand ein Gesetzeslehrer auf, und um Jesus auf die Probe zu stellen, fragte er ihn:
Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?
Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz? Was liest du dort?
Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst.
Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet. Handle danach und du wirst leben.“ (Lk 10, 25-28)
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- Striet: Habe mich von klassischer Lehre von der Erlösung verabschiedet – katholisch.de ↩︎
- Magnus Striet: Alte Formeln – lebendiger Glaube. Das Glaubensbekenntnis ausgelegt für die Gegenwart, Freiburg 2024. ↩︎
- Magnus Striet: Alte Formeln – lebendiger Glaube. Das Glaubensbekenntnis ausgelegt für die Gegenwart, Freiburg 2024, S.92 ↩︎
- Striet: Habe mich von klassischer Lehre von der Erlösung verabschiedet – katholisch.de ↩︎
- Katholischer Katechismus der Bistümer Deutschlands, Osnabrück 1960
Alle in diesem Text angeführten Zitate betreffend den katholischen Katechismus sind dieser Ausgabe entnommen ↩︎ - Mt 27,11-26; Mk 15,1-15; Lk 23,1-25; Joh 18,1–19,16 ↩︎
- Mt 22, 36-40; Lk 10, 25-28; Mk 12, 28-34 ↩︎